Vorwort, Teil II der dt. Ausgabe: Bernard Lonergan, "Die Einsicht"-- 1. Inhaltsübersicht Quelle: Bernard Lonergan, "Die Einsicht: eine Untersuchung über den menschlichen Verstand" Einleitung (wie Einleitung zum Vorwort Teil I):
Jedes Reden über Kunst ist nur sinnvoll, wenn die geistigen Grundlagen freigelegt werden, auf denen sich die Reflexion über Kunst vollzieht. Mir ist kein Denker bekannt, dessen methodologische Klarheit und Einsichten einem in ähnlicher Weise wie jene Bernard Lonergans dazu verhelfen können, sich der geistigen Grundlagen seiner selbst und Geschichte klar zu werden. Die deutsche Übersetzung von "Insight: A Study of Human Understanding" ist selbst antiquarisch kaum mehr erhältlich. Ich möchte in einer Reihe Passagen aus der deutschen Übersetzung zitieren.
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II. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand im heutigen Kontext
XIVa Nach mehr als zehn Lehrjahren bei dem mittelalterlichen Meister war Lonergan imstande, das, was er gelernt hatte, selbst darzulegen und zu entfalten, aber jetzt in sich selbst und in seinen Implikationen, unabhängig von seinem historischen Auftreten bei Aristoteles und Thomas. Aber auch in diesem eigenständigen Unternehmen war seine langfristige Absicht eine theologische. Er stellte eine philosophische Untersuchung über den menschlichen Verstand als eine Erforschung der Methoden an, die heute in den vielfältigen Sparten des Wissens angewandt werden, um so eine Methode der Theologie ausarbeiten zu können, die dem höchst differenzierten Stand des theologischen Forschungs- und Lehrbetriebs im Kontext des zeitgenössischen geistesgeschichtlichen Kontextes entsprechen würde. Es war ein äußerlicher Umstand, nämlich die Berufung zur Gregoriana Universität, der Lonergan nahelegte, seinen Plan zu ändern und den rein philosophischen, eher vorbereitenden Teil abzurunden und zu veröffentlichen unter einem Titel - Insight. A Study of Human Understanding -, der an die klassischen Texte der englichen philosophischen Tradition erinnert: dem Essay bzw. dem Enquiry Concerning Human Understanding von Locke und Hume1. Die zwei Gesprächspartner Lonergans in diesem seinem Hauptwerk sind die Revolution, die die Naturwissenschaft in der modernen Kultur herbeigeführt, und die kritische Wende, die die Philosophie Kants inauguriert hat. (Fs)
XVa Da es hier nicht möglich ist, auf den Inhalt des Buches im einzelnen einzugehen, mag es genügen, 1) eine Übersicht des Inhalts anzugeben , 2) die drei darin immer wiederkehrenden Themen zu umreißen und 3) die eigentliche und letzte Intention des Verfassers zur Sprache zu bringen. (Fs)
1. Eine Inhaltsübersicht
XVb Die ersten acht Kapitel handeln von der Einsicht ins Sinnliche, auf die das Studium von Thomas Lonergan aufmerksam gemacht hatte. Zuerst (Kap. I) wird die Einsicht in der Mathematik untersucht, wo am deutlichsten gezeigt werden kann, daß es eine vorbegriffliche Erkenntnistätigkeit auf der intellektuellen Ebene gibt, und wo diese Tätigkeit (das Verstehen in den Daten) am präzisesten im Begriff ihren Ausdruck findet. (Fs)
XVc In den Kapiteln II bis V wird die Existenz und Eigenart der Einsicht in der Physik untersucht, wo der sich entwickelnde Prozeß der Erklärung der Daten eine große Rolle spielt, und der bloß hypothetische Charakter dessen, was der Verstand in den Daten erfaßt, wegen des experimentellen Verfahrens der neuzeitlichen Wissenschaft deutlich hervortritt. Aber es muß klar gegen ein mehrfach geäußertes Mißverständnis gesagt werden, daß Lonergans Theorie von der Erkenntnis keine Wissenschaftstheorie in dem Sinne ist, daß sie nur für die Erkenntnisart gelte, die der Naturwissenschaft eigen ist. Der Grund seiner eingehenden Analyse der Art und Weise, wie die Naturwissenschaftler ans Werk gehen, ist, daß bei ihnen am genauesten ein Einzelfall des Verstehens unter die Lupe genommen werden kann. Dadurch läßt sich ermitteln, was nämlich die Voraussetzungen dieses Aktes sind, wie er stattfindet, was er erfaßt, wie er in einem Begriff bzw. in einem Gesetz formuliert wird, und damit, was er dem bereits vorliegenden Stand der Erkenntnis hinzufügt. Außerdem hat die moderne Naturwissenschaft in ihren neuesten Errungenschaften - etwa wie sie den Gegenstand in der Relativitätstheorie und das Ereignis in der Quantenmechanik auffaßt - den unübersehbaren Beweis erbracht, daß das, was der Verstand in den Daten entdeckt, das Intelligible, von sich aus und deshalb überhaupt nicht in der Einbildungkraft vorstellbar ist. Nun aber findet sich derselbe strukturelle Akt in allen Bereichen des Wissens, in denen die Menschen von ihrer Intelligenz Gebrauch machen. (Fs) (notabene)
XVd Kapitel VI und VII befassen sich mit der Erkenntnis des Common Sense als einer Spezialisierung der Intelligenz im Bereich des Einzelnen und Konkreten. Während die ersten sieben Kapitel die Intelligenz betrachten, insofern sie unter einem abstrahierenden Gesichtspunkt Korrelationen erfaßt, die die Daten unter einem Aspekt zu einer Einheit führen, geht Kapitel VIII zu einer anderen Art von Einsicht über, die in den Daten insgesamt eine konkrete Einheit-Identität-Totalität erfaßt, die wir mit dem Terminus "Ding" bezeichnen. Das Ding als konkretes stellt den Gegenstand dar, in dem Common Sense und Naturwissenschaft sich treffen. (Fs) (notabene)
XVIa Kapitel IX bis XI handeln vom Urteil als der Phase, die der Begriffsbildung folgt und den Erkenntnisprozeß zum Abschluß führt. Wichtig ist hier die Analyse des reflexiven Verstehensaktes, der den de facto unbedingten Grund liefert, weswegen der Verstand das Urteil als absolute Setzung der zunächst bloß gedachten mentalen Synthesis fällen kann. Kapitel XII geht auf das Objekt ein, das durch den Vollzug der intelligenten und rationalen Dynamik unseres Geistes (der Intentionalität) erkannt wird: das Reale, das Sein. Kapitel XIII wirft die Frage nach der objektiven Geltung unserer Erkenntnis auf, warum sie nämlich als Erkenntnis der Wirklichkeit gelten kann. (Fs)
XVIb Kapitel XIV bis XVII arbeiten ausführlich unsere Erkenntnis des Seins - zunächst des unserer Erkenntnisart proportionierten Seins - in seinen Grundstrukturen aus; also das, was unter dem herkömmlichen Namen der Metaphysik gemeint ist. Kapitel XVIII geht über das rein erkenntnismäßige Moment unserer Intentionalität hinaus, um ihren freien und verantwortlichen Vollzug zu untersuchen; es handelt also von der Ethik. (Fs)
XVIc Kapitel XIX befaßt sich mit der Wirklichkeit, die jenseits des beschränkten Bereichs unserer äußeren und inneren Erfahrung liegt, zugleich aber von derselben intelligenten und rationalen Intentionalität, die die Erkenntnis der "Welt" hervorbringt, in ihrer uneingeschränkten Tragweite intendiert wird; kurzum, mit der Frage nach Gott. Kapitel XX fragt danach, wie das personale Wesen, von dem die Welt ihren Ursprung hat, und dem die Eigenschaften der höchsten Weisheit, Allmacht und Güte zuerkannt werden, mit dem Übel in der Welt umgeht. Die Antwort auf diese Frage führt eine Verschiebung des Zentrums der menschlichen Interessen herbei, die den Zugang zu jener übernatürlichen Realitätsordnung öffnet, von der die christliche Theologie spricht. (Fs)
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