Bernard Lonergan, "Die Einsicht", Vorwort 8a-8c

Quelle: Bernard Lonergan, "Die Einsicht: eine Untersuchung über den menschlichen Verstand"

Reden über Kunst ist nur sinnvoll, wenn die geistigen Grundlagen freigelegt werden, auf denen sich die Reflexion über Kunst vollzieht. Mir ist kein Denker bekannt, dessen methodologische Klarheit und Einsichten einem in ähnlicher Weise wie jene Bernard Lonergans dazu verhelfen können, sich der geistigen Grundlagen seiner selbst und Geschichte klar zu werden. Die deutsche Übersetzung von "Insight: A Study of Human Understanding" ist selbst antiquarisch kaum mehr erhältlich. Ich möchte in einer Reihe Passagen aus der deutschen Übersetzung zitieren.

"Es bleibt die Frage: Welcher praktische Nutzen kann aus diesem Buch entstehen?"

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8a Es bleibt die Frage: Welcher praktische Nutzen kann aus diesem Buch entstehen? Die Antwort ist direkter als erwartet werden könnte. Denn die Einsicht ist die Quelle nicht nur der theoretischen Erkenntnis, sondern aller ihrer praktischen Anwendungen und, in der Tat, aller intelligenten Aktivitäten. Die Einsicht in die Einsicht wird deshalb offenbar machen, welche Aktivität intelligent ist, und die Einsicht in das Versehen wird offenbaren, welche Aktivität unintelligent ist. Praktisch [xiv] zu sein aber bedeutet, das Intelligente zu tun, und unpraktisch zu sein bedeutet, weiterzuwursteln. Daraus folgt, daß die Einsicht sowohl in das Einsehen als auch in das Versehen der Schlüssel zum Praktischen ist. (Fs)

8b Die Einsicht in die Einsicht bringt so den kumulativen Prozeß des Fortschritts ans Licht. Konkrete Situationen lassen nämlich Einsichten entstehen, die ihrerseits zu Politiken und Handlungsabläufen führen. Das Handeln verändert die gegebene Situation, was zu weiteren Einsichten, besserem politischen Handeln, wirksameren Handlungsabläufen führt. Es folgt, daß, wenn die Einsicht vorkommt, sie auch wiederkehrt; und jedesmal, da sie wiederkehrt, entwickelt sich die Erkenntnis, erweitert das Handeln seinen Spielraum und die Situation verbessert sich. (Fs)

8c Ähnlich offenbart die Einsicht in das Versehen den kumulativen Prozeß des Niedergangs. Die Flucht vor dem Verstehen blockiert nämlich die Einsichten, die die konkreten Situationen verlangen. Es folgen daraus unintelligente politische Praktiken und inadäquate Handlungsabläufe. Die Situation verschlechtert sich und verlangt nach weiteren Einsichten und, da diese blockiert sind, werden die Strategien noch unintelligenter und die Handlungen noch inadäquater. Was schlimmer ist, ist, daß die sich verschlechternde Situation scheint, dem unkritischen und in einer Befangenheit verwickelten Verstand die Tatsachenevidenz zu liefern, derentwegen behauptet wird, die Befangenheit sei verifiziert. Deshalb wird die Intelligenz in zunehmendem Maße als etwas betrachtet, was für das praktische Leben irrelevant ist. Die Tätigkeit des Menschen wird zur dekadenten Routine und die Initiative wird zum Privileg der Gewalt. (Fs)

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