Vorwort, Teil IIb der dt. Ausgabe: Bernard Lonergan, "Die Einsicht" -- 2. die drei Grundthemen: 3

Quelle: Bernard Lonergan, "Die Einsicht: eine Untersuchung über den menschlichen Verstand"

Einleitung (wie Einleitung zum Vorwort Teil I):

Jedes Reden über Kunst ist nur sinnvoll, wenn die geistigen Grundlagen freigelegt werden, auf denen sich die Reflexion über Kunst vollzieht. Mir ist kein Denker bekannt, dessen methodologische Klarheit und Einsichten einem in ähnlicher Weise wie jene Bernard Lonergans dazu verhelfen können, sich der geistigen Grundlagen seiner selbst und Geschichte klar zu werden. Die deutsche Übersetzung von "Insight: A Study of Human Understanding" ist selbst antiquarisch kaum mehr erhältlich. Ich möchte in einer Reihe Passagen aus der deutschen Übersetzung zitieren.
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3. Eine moderne Version des "Erkenne dich selbst"

XIXc Mit dem zuletzt Gesagten haben wir bereits angedeutet, was Lonergan mit der "Einsicht" eigentlich vorhat. Im vorliegenden Werk wird der Leser gewiß grundlegende philosophische Einsichten finden; auf sie habe ich soeben aufmerksam gemacht. Bei aller Bedeutung dieser Lehrstücke liegt jedoch nicht in ihnen das, was der Verfasser dem Leser letztlich mitteilen will. Im ersten Absatz der Einleitung legt Lonergan in fünf Distinktionen die Absicht fest, die ihn bei der Abfassung des Buches geleitet hat. Die aufschlußreichste ist die dritte: "Es geht nicht darum, eine Liste der abstrakten Eigenschaften der menschlichen Erkenntnis aufzustellen, sondern dem Leser zu helfen, sich die seinen eigenen Erkenntnisaktivitäten innewohnende konkrete, dynamische und immer wieder wirkende Struktur anzueignen." Und am Ende seiner Arbeit nennt er das Buch einen "Essay zur persönlichen Aneignung des eigenen rationalen Selbstbewußtseins" (748). (Fs)

XIXa Lonergan sieht die Gefahr bzw. die Versuchung des Lesers darin, daß er sich für die Ausführungen über Einsichten in Mathematik, Physik, Common Sense und Philosophie interessiert, und während er an die jeweiligen Objekte denkt, "seine eigenen Handlungen hinsichtlich der Objekte vernachlässigt. Damit verfehlt er das Wesentliche. Die verschiedenen Objekte werden nur deshalb erwähnt, um den Leser aufzufordern, sein eigenes Bewußtsein der Handlungen zu intensivieren, die er vollzieht, indem er sich mit den Objekten befaßt. Wenn man nun diese Falle umgeht - und dies ist nicht leicht -, ergibt sich eine zunehmende Erleuchtung, die den Leser dazu führt, daß er Lonergan nicht mehr braucht, weil er selber die Entdeckung gemacht hat und imstande ist, es selbst zu tun"1. (Fs)

XIXb Was mit einer solchen Aneignung seiner selbst gemeint ist, erläutert Lonergan im selben Zusammenhang durch folgenden Vergleich: "Wie man in gewissen Methoden der Therapie seine eigenen vorher verdrängten Gefühle zu merken, zu nennen, anzuerkennen und zu identifizieren lernt, so wird man in diesem Buch aufgefordert, in sich selbst die eigenen Handlungen, von denen man Erfahrung hat, und die Dynamik, die von einer Art von Handlungen zu einer anderen führt, genau zu entdecken. In dem Maße, als man diese Entdeckung macht, wird man in den Besitz der Elemente kommen, auf die ein grundlegender Satz von Termini und Beziehungen verweist. Dieser Besitz wird zu einem Verstehen seiner selbst führen, das in der Tatsache gründet, daß man sich selbst verstanden hat."2

XIXc Es ist nicht unangemessen, das Hauptwerk Lonergans als eine moderne Version des alten "Erkenne dich selbst" anzusehen, wobei sich selbst erkennen bedeutet, die eigene Subjektivität zu entdecken und sie sich ausdrücklich und konsequent zu eigen zu machen, jene intelligente, rationale und verantwortliche Dynamik nämlich, die uns zu Personen macht. Damit wird der einzelne in seiner unvertretbaren Individualität aufgefordert, in sich selbst den Übergang zu vollziehen vom picture thinking der Erkenntnis als Anschauung zur Wahrheit des Urteils, und von dem, was gefällt als Kriterium für die eigenen Entscheidungen, zu dem was in Wahrheit gut ist, nämlich zu jenem Wert, zu dem dieselbe Intentionalität uns verpflichtet, wenn sie uns die Frage stellen läßt: "Was soll ich tun?"

XXa Ein solches rationales und verantwortliches Streben aber kann weder bei der als bloßem Faktum existierenden Welt halt machen noch bei einem Wert, der im Horizont der Vergänglichkeit die absolute Verpflichtung des Gewissens nicht zu begründen vermag. Will man nicht dem Obskurantismus huldigen, so fordert uns unsere eigene Intentionalität auf, über die Welt hinaus zu gehen zur Anerkennung einer Wahrheit, in der die Antwort auf alle unsere Fragen liegt, und eines uneingeschränkten, personalen Guten, der die sittliche Bemühung der Mühe wert macht. Solcherart ist der folgerichtige Ausgang des langen Wegs, den Lonergan bei seiner Untersuchung jener Einsicht zurückgelegt hat, die kein Mensch völlig vermeiden kann. (Fs)

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